Das Orlando-Ensemble hatte sein Programm Lichtstrahl mit "Mittelalter und Moderne miteinander im Gespräch" beschrieben. Und tatsächlich ergab sich ein harmonisches Miteinander aus Alter und Neuer Musik – beides war förmlich miteinander verwoben, Unterschiede spielten keine Rolle.
Juliane Maria Esselbach – Sopran
Kai Schulze-Forster – Truhenorgel, Cembalo
Tilman Muthesius – Viola da gamba
Petra Prieß – Fideln und Violine
Konrad Navosak – Laute, Chitarrone, Barockgitarre
Das Potsdamer Alte-Musik-Ensemble kam mit einem Programm nach Schönebeck, für das sie während der Corona-Pause einige ganz neue Kompositionen geschrieben hatten. Warum "neu komponiert" und "Mittelaltermusik" kein Widerspruch ist, erklärte Sängerin Juliane Maria Esselbach während des Konzertes: "Im Mittelalter wurden Kompositionen nicht exakt notiert, alles richtete sich nach der 'göttlichen Harmonie', wurde von den Musikern nach bestimmten Regeln immer neu geschaffen. Und so wurden auch lange Zeit keine Namen von Komponisten überliefert, alles ordnete sich dem Gedanken unter, dass Gott auch der Schöpfer der Melodien ist". Nur selten konnten Melodien zugeordnet werden, etwa wenn auf der Rückseite von Notenblättern Texte oder Rechnungen standen. "Die Musik des Mittelalters gibt es nicht mehr – aber es gibt eine Sehnsucht nach der damaligen Betrachtung der Welt. So schöpfen wir auf der Bühne die Musik immer wieder neu".
Der Sonnengesang von Franz von Assisi war dann auch eines der neu komponierten Stücke. Das Gebet aus dem 13. Jahrhundert preist die Schönheit der Schöpfung. In neun Strophen wird das Lob des Schöpfers ebenso gesungen wie Bruder Sonne, Schwester Mond und die Sterne, Bruder Wind (leise durch die Rahmentrommel angedeutet), Schwester Wasser, Bruder Feuer und Mutter Erde, Frieden und Tod. Das Orlando-Ensemble setzte die einzelnen Strophen an den Beginn, das Ende und zwischen die anderen Stücke des Programms.
Sparsam eingesetzt bildeten Cello, Laute, Geige und Orgel Borduntöne zum Gesang von Juliane Maria Esselbach. Die Melodie zu den Worten "Höchster, Allmächtiger, Großer Gott" war so charakteristisch, dass es keiner Moderation bedurfte, um später die anderen Teile des Sonnengesangs herauszuhören.Andere Stücke im Programm kamen etwa von Hildegard von Bingen oder Oswald von Wolkenstein. "Oswald von Wolkenstein war einer der späten Minnesänger, so wie Walther von der Vogelweide (der viel früher lebte)", erklärte die Sängerin, "und zugleich war er ein Ritter, der weit in die Welt hinauskam, bis in den Orient".
Als Bezug zu Schönebeck standen Marienlieder auf dem Programm. "Solche Lieder wurden von Pilgern gesungen, wie sie auf dem Jakobsweg auch an dieser Kirche vorbeikamen".
Der estnische Komponist Arvo Pärth (*1935) begann während einer Schaffenskrise, sich mit der Musik des Mittelalters zu beschäftigen. Von ihm war das Lied "My heart is in the highlands" zu hören. Mit einer interessanten Komposition, die neben dem Grundton nur die Terz und die Quinte verwendete. Und dies auch im Gesang – sicher eine Herausforderung, weil die einzelnen Strophen in jeweils nur einer Tonhöhe gesungen wurden, wie ein Sprechgesang. Durch die zurückhaltende Begleitung klang der Gesang hell und klar durch die Stille des großen Kirchenschiffs.
Ein weiteres Stück neuer Musik und zugleich eine Uraufführung war das neu komponierte Lied nach Ingeborg Bachmanns "Nach dieser Sintflut".
Nach dieser Sintflut
möchte ich die Taube,
und nichts als die Taube,
noch einmal gerettet sehen.
Ich ginge ja unter in diesem Meer!
flög‘ sie nicht aus,
brächte sie nicht
in letzter Stunde das Blatt.
Im Gesang und der Begleitung hört man zugleich die Musik des Mittelalters heraus wie Kompositions- und Gesangstechniken der Neuen Musik. Das Orlando-Ensemble vollführt damit einen großen Spagat, mit einem Stück das neben europäischen auch arabische Elemente enthält.
Zum Ende des Programmes gibt es dann noch ein Stück Mittelalter: Benedicamus domino. Nach all der mittelalterlichen Musik war es kein Wunder, dass einige der Konzertbesucher noch in der Kirche blieben, um mit den Musikern über Minnegesang zu sprechen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen