Tabea Wollner – Gesang, Flöte, Ukulele, Trommel, Mundharmonika
Tobias Wollner – Gesang, Klavier, Trommel
Beide Wollners kommen schlicht und überwiegend schwarz gekleidet auf die Bühne, er im Frack mit weinroten Ärmelaufschlägen und mit Zylinder auf dem Kopf, sie in einem mit Papierstreifen drapierten schwarzen Reifrock. Dem Publikum stellen sie sich als zwei in Volksliedern immer wieder vorkommende Figuren vor: er als Linde, sie als Brunnen.
Ihr Programm beginnen sie mit zweistimmigem Gesang, alte Lieder aus dem Mittelalter, begleitet von Flöte, Akkordeon und Schellentrommel. Unter der Linde singt die Nachtigall, tandaradei. Am Brunnen möcht' ich sitzen, tandaradei. Und das Röslein auf der Heide möcht nicht gebrochen sein. Von Beginn an ist deutlich: das Programm ist keine Folge von Volksliedern in der Form, wie man sie aus dem Schulbuch kennt. Die Wollners mischen in ihrem Programm ganz alte Lieder mit solchen aus der Romantik, sie variieren die Melodien, interpretieren die Lieder neu und hinterfragen in ihren Moderationen und Dialogen die Geschichte der Lieder. Da mischen sich – für das Publikum zum mitsingen auf Liedzettel gedruckt – Paul Gerhardts "nun ruhen alle Wälder" und Matthias Claudius' "der Mond ist aufgegangen" in einer einzigen Melodie.
Volkslieder entstehen aus den Gefühlen der Menschen, von tiefen Emotionen, die vor allem in Liebe und Leid zu finden sind. Aber was Volkslieder wirklich sind, darüber gibt es viele Auffassungen. Herder war einer der ersten, die Volkslieder sammelten, stellen die beiden fest, ("leider wurden die Volkslieder schon von Johann Gottfried Herder in seiner ersten großen Volksliedersammlung stark vereinfacht", bedauert Tobias Wollner später), dann gibt es noch die Berliner Liederschule, und von Hannes Wader gab es dann wieder viele Volkslieder. Genug Stoff für die beiden Musiker, ihr Programm zu füllen. "Wichtig ist eine inhaltliche Linie", erklärte Tobias Wollner, "und dann arrangieren wir die Lieder dazu". Auch wenn die Grundmelodie erhalten bleibt, klingen die Lieder merkwürdig anders und neu, das Ohr hört dadurch genauer hin und entdeckt manches Lied neu.
Das Handwerker-Wanderlied "Ich will mein Glück probieren, marschieren" singen die Wollners in einer Blues-Version (mit Tabea Wollner an der Blues-Mundharmonika) und so selbstverständlich, als wäre es schon immer ein Blues von Stefan Diestelmann gewesen. Andere Lieder sind in weitgehend originaler Version zu hören, wie "Die beste Zeit des Jahres" von Martin Luther. Dieses Lied hörte ich gerade vor einem Jahr in einem Konzert des Jugendjazzorchesters Sachsen-Anhalt. So schließen sich für mich musikalische Kreise. Überhaupt ist erfreulich festzustellen, dass das deutsche Volkslied noch lange nicht tot ist. Das Programm der Wollners steht da in einer Linie mit weiteren Künstlern, die sich des Volksliedes annehmen und es neu interpretieren (persönlich fällt mir da z.B. Bobo mit ihrer CD "Liederseelen" ein). "Volkslieder sind nichts statisches", erklärt Tobias Wollner, "sie müssen gesungen werden".
Das Programm lebt auch von den Moderationen der beiden Wollners. In kabarettistischer Manier können die beiden (in ihren Kunstfiguren als Linde und als Brunnen) trefflich streiten, wer von beiden älter ist (er: ich war schon dreihundert Jahre vor Luther an dieser Stelle, sie: mich gibt es hier schon seit der Römerzeit) oder wer die größere Bedeutung hat. Und mitunter bleibt dem Publikum bei den Dialogen auch das Lachen im Halse stecken, wenn es um den Krieg geht, den Brunnen und Linde kommentieren ("Immer das gleiche, und die Menschen haben noch nicht verstanden, dass es keinen Gewinner gibt") oder um Progrome gegen Juden. Musikalisch führt das bis zu einer Collage aus melancholischen Soldatenliedern ("ich hatt einen Kameraden"), gesungen von Tobias Wollner am Klavier und dazwischengesetzten Zitaten aus Nazi-Kriegsliedern (ja, auch böse Menschen haben Lieder!), gesungen von Tabea Wollner im Sprechgesang, mit Marschrhythmus und Megaphon vor den Lippen. Da ist jede Interpretation unnötig.
Das Programm endet mit gemeinsamem Gesang des Publikums. "Kein schöner Land" ist zu hören und dann "Adé nun zur guten Nacht". Das hätte eigentlich ein gutes Schlußlied sein können. Allein, das Publikum hatte noch immer nicht genug. Am Ende stand dann nochmal "der Mond ist aufgegangen". Und neben den noch lange nachklingenden Liedern blieb bei manch' einem wohl auch die Absicht zurück, mal wieder die alten Liederbücher in die Hand zu nehmen.
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