Samstag, 11. März 2023

Weil ich hier bleiben muss

"Weil ich hier bleiben muss", diese Zeile aus einem bekannten und eigentlich völlig unpolitischen Kinderlied gab dem Programm der beiden Wollners den Namen. "Ein Wende-Chanson-Programm" hieß es im Untertitel auf dem Programmheft. Als ich fragte, was vorab als Anmoderation zu sagen wäre, hieß es "vielleicht, dass man in der DDR gewohnt war, auch zwischen den Zeilen zu lesen". 

Tabea Wollner – Gesang
Tobias Wollner –Klavier, Gesang

Zwischen den Zeilen lesen: Es war dann tatsächlich so, dass viele der Lieder eine zweite Ebene enthielten. Selbst das Titellied. Und so war das Programm – auch wegen der kurzen Zwischentexte – kein Mitklatsch-Ostalgieprogramm. Vielmehr war interessant, Lieder, die man von früher eben kannte, nun unter diesem Aspekt zu hören.

Es gab Musik, die man damals gar nicht richtig wahrnahm, manchmal nicht mal so richtig schätzte, die aber ganz tief drin nie ganz vergessen wurde. So wie das Gänselieschen von Renft, tatsächlich eher unpolitisch. Ganz anders, ebenfalls von Renft, und wie tagesaktuell geschrieben: Nach der Schlacht: nach der Schlacht warn die grünen Wiesen rot / nach der Schlacht warn viel Kameraden tot / und man stellt sich auf das verbliebne Bein / und man meint das müsse der Sieg schon sein

Manchmal reichten wenige Sätze, um die Musik einzuordnen: Wenn es etwa hieß "Du gehst zur Christenlehre, machst keine Jugendweihe? Dann kannst Du Dein Studium vergessen", dann klang "Sag mir wo Du stehst" vom Oktoberklub ganz anders. Klassenbewusstsein stand eben ganz vorn. "Ich beobachte Dich / Jeden Schritt den Du gehst" war dann schon beinahe selbsterklärend, auch wenn es damals einfach ein Lied über eine nicht erklärte Liebe war, und bei Lieder wie "Wand an Wand" oder "Nach Süden" kann man sich im Nachhinein wundern, dass sie überhaupt erscheinen durften. Zeilen wie Wollen wir uns kennenlernen, müssen wir das Haus verlassen / Wenn du lachst, klingt es herüber wie aus einem ander'n Land oder  Nach Süden, nach Süden / Wollte ich fliegen / Das war mein allerschönster Traum / Hinter dem Hügel / Wuchsen mir Flügel / Um vor dem Winter abzuhaun waren eigentlich sehr eindeutig. Ebenso wie Lieder vom Fortgehen, "Scherbenglas" von Lift: Sie ging aus dem Haus, da waren noch still / die Vögel rings in den Zweigen. / Sie ging aus dem Haus, und als sie ging, / erhob sich ein plötzliches Schweigen. / Sie nahm mit sich fort an Wärme, was war.

Das Lied von der unruhevollen Jugend sangen beide Wollners teils auf deutsch, teils auf russisch. "Bei mir war gleich nach den ersten Takten der Text wieder präsent, sogar der russische", sagte eine Besucherin in der Pause. Bedrohen uns auch Gefahren / Die Freundschaft wird uns bewahren / Sie hat uns in all den Jahren / Geleitet durch Sturm und Nacht. Gesungen voller Gefühl, und wenn ich auch selbst keinen Text dazu im Kopf hatte, zum Mitsummen reichte es. Manche Lieder waren von Tobias Wollner neu arrangiert und klangen dadurch eigenwillig anders, wie eine nach Blues klingende Version von  "Trink den Champagner wie das Leben" von Angelika Mann. 

Ich hatte viele der Lieder gar nicht so doppelbödig in Erinnerung. Habt Ihr das schon damals so gehört, fragte ich nach dem Programms. "Nein, wir waren zum Ende der DDR beide um zwanzig Jahre. Da haben wir NDR2 gehört", sagten beide. "Aber dennoch bewegt uns das Programm schon sehr lange", sagte Tobias Wollner, "und daraus wurde dann eine ganz persönliche Sicht auf die DDR. Und ich habe auch erst viel später gemerkt, was das für gute Musik ist".

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt...
... aber abgewiesen wurde kein Besucher, die
letzten bekamen einen Platz im Foyer.

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